Ich habe lange überlegt, ob ich zu dem Thema nochmal etwas sage, aber letztlich hat es mir keine Ruhe gelassen.
Ja, ich verstehe, dass das etwas unglücklich aussieht, aber ich denke, aus deiner Antwort lässt sich ableiten in welche Richtung mein Kommentar ging. Nochmal… dieser Kommentar war unsachlich und herablassend. Hierfür möchte ich @raging um Entschuldigung bitten.
Was meine Haltung und Gründe zum Thema Gendern angeht…
Zunächst muss ich sagen, dass ich selber gar nicht mal besonders konsequent gendere. Ich bin 46 Jahre alt und habe 45 davon gar nicht gegendert und hatte auch kein Bewusstsein für inklusive Sprache. Ich bemühe mich darum, aber häufig vergesse ich, darauf zu achten und so rutscht mir oft genug was durch.
Warum ist mir das Gendern wichtig (und da wiederhole ich jetzt einiges, was @anndlich schon geschrieben hat)? Häufig wird der Eindruck vermittelt, dass es beim Gendern „nur“ um die sprachliche Einbeziehung von Minderheiten (z.B. nicht-binäre Personen) geht. Dem ist aber nicht so bzw. das ist es nicht nur. Vielmehr geht es beim Gendern um eine geschlechterneutrale Sprache. Wir leben in einer patriarchal geprägten Gesellschaft, was sich auch auf unsere Sprache ausgewirkt hat. Studien haben gezeigt, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums (z.B. Arzt) häufig an eine männliche Person gedacht wird. Sprache schafft so Wirklichkeit. Und geschlechtsneutrale Sprache bricht Geschlechterrollen auf. Nun sind wir Erwachsenen sicher in der Lage zu differenzieren. Wenn mein Kollege sagt, dass er morgen zum Arzt geht, ist mir bewusst, dass die Person sowohl männlich als auch weiblich sein kann. Aber was ist mit Kindern? Über das ganze Thema Rollenklischees könnte man seitenweise Kommentare schreiben und das führt jetzt hier wirklich zu weit. Aber m.M.n. ist es ein wichtiger erster Schritt, wenigstens in der Sprache darauf zu achten, ein differenziertes Weltbild zu vermitteln. Es wird immer wieder gesagt, dass sich zu wenige Mädchen/Frauen in MINT- bzw. wissenschaftliche Berufe wagen. Dafür gibt es sicher diverse Gründe. Aber die Sprache ist m.M.n. einer davon.
Was den anderen Aspekt, d.h. die Einbeziehung von Minderheiten angeht: Mir tut es nicht weh zu Gendern (bzw. mich darum zu bemühen) und mich persönlich stört es nicht, wenn andere das tun. Und wenn es da draußen Menschen gibt, die sich in dem binären Geschlechtersystem nicht wohl fühlen und die sich durch geschlechterneutrale Sprache etwas mehr gesehen, etwas mehr gesellschaftlich akzeptiert fühlen… warum sollte ich ihnen das verwehren? Niemandem wird etwas weg genommen.
Ein paar Gedanken hierzu noch. Ja, ich glaube dass das so ist. Die Frage, die sich mir stellt, wer lehnt es denn vorwiegend ab? Ein Beispiel (was natürlich nicht repräsentativ ist) aus meiner Erfahrungswelt: Ich war gut 1 ½ Jahre in einer Therapiegruppe. Die beiden jüngsten Teilnehmerinnen (beide Mitte 20) der Gruppe haben völlig selbstverständlich gendert. Kein Stocken, kein Überlegen, für sie ist das in ihre Alltagssprache übergangen. Ich glaube daher (und nein, ich habe dafür keine Belege), dass das gendern bei „jüngeren“ Menschen eher auf Zustimmung und Akzeptanz stößt. Und genau aus diesem Grund glaube ich auch, dass sich das gendern bzw. geschlechterneutrale Sprache (!) langfristig durchsetzen wird.
Im Übrigen, und damit will ich nun wirklich zum Ende kommen, gendern bzw. geschlechterneutrale Sprache besteht nicht nur aus dem *, : oder Binnen-I. Man kann auch versuchen geschlechterneutrale Bezeichnung zu nutzen, z.B. Leserschaft anstelle von Leser, Mitarbeitende anstelle von Mitarbeitern usw. Das ist im Lesefluss angenehmer und findet vermutlich etwas mehr Anklang als die o.g. Symbole.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass das meine Meinung ist. Ich möchte diese niemandem aufdrücken. Ich verstehe durchaus, dass man das Gendern auch kritisch sehen kann. Mein Kommentar, zu dem ich mich habe hinreißen lassen, hatte auch mehr mit der Erwähnung eines gewissen Politikers, dessen Positionen ich nicht teile, zu tun als mit der Ablehnung des Genderns an sich.
Und ja, ein Stück weit, spiegelt meine Bemühung um eine geschlechtsneutrale und inklusive Sprache auch meine politische Überzeugung wieder.