Da wir nun die Diskussion um das Angebot für männliche Leser schon seit einer Weile im Leseproben-Thread führen, wo es eigentlich nicht hingehört, eröffne ich hier einen eigenen Thread, wo wir darüber diskutieren können, warum der Anteil an männlichen Lesern so gering ist, insbesondere bei den jungen. Gibt es zu wenig Angebote, besteht generell weniger Interesse seitens der Männer an Büchern, fixieren sich die Verlage zu sehr auf Romance, YA/NA etc? Vielleicht möchten sich ja auch männliche User zu Wort melden: Wie ist Euer Eindruck zu dem Thema?
@buchdoktor hat heute einen interessanten Artikel geteilt (Im Leseproben-Thread), den ich hier nochmal verlinke, da ich das Thema - auch als Jungsmama - sehr spannend finde:
Der Vollständigkeit halber auch meine Gedanken hierzu noch einmal wiederholt:
Die Forderung an die Verlage, konkrete Angebote für Männer zu schaffen, ist inhaltlich nachvollziehbar, aber ökonomisch schwierig.
Verlage sind keine Wohltätigkeitsorganisationen, sondern marktwirtschaftliche Unternehmen, die sich angesichts der sowieso geringen Margen am hart umkämpften Buchmarkt knallhart an der Wirtschaftlichkeit der Titel orientieren müssen, so wie alle anderen Unternehmen auch.
Klar hätte man das gerne anders, Literatur ist eben von der Wahrnehmung her etwas anderes als Konsumgüter, aber der Markt funktioniert nach demselben Prinzip und ist in letzter Zeit auch noch extrem schnelllebig geworden. Bücher die mehr als 2 Jahre alt sind, gelten ja schon als alt. Dass dann verlegt wird, was sich schnell in Masse verkaufen lässt, ist unternehmerisch nachvollziehbar. Verlage, die sich hehren Zielen verschreiben und abseits der Massenware verlegen, kommen da schnell ins Straucheln, so wie jüngst selbst der renommierteste deutsche Verlag Suhrkamp.
Wenn gesellschaftlich gewünscht ist, Männernasen in Bücher zu bringen, bräuchte es entsprechende Förderprogramme für die Verlage, um für die Anfangsphase Anreize zu schaffen. Es ist ja nicht zu erwarten, dass sich entsprechende Titel sofort wie warme Semmeln verkaufen, sondern es wird - falls es überhaupt klappt - eine Weile dauern, um die Bücher im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen und die Zielgruppe zum Lesen zu motivieren.
Ich bezweifle, dass es zu wenig Angebote gibt für männliche Leser. Es gibt auch für Jungs im Kinderalter genug Lektüre, zudem die spezifischen „weiblichen und männlichen“ Bücher doch viel offener sind als noch vor 20 Jahren.
Das Hauptproblem und da spreche ich aus eigener Erfahrung, ist viele ( wohlgemerkt viele, aber nicht alle) Jungs, überhaupt zum lesen zu bringen. Ich habe eine Tochter und einen Sohn. Beide sind mit einer Buchverrückten ( mir) aufgewachsen. Beide hatten viele Bücher, beiden wurde vorgelesen und ich habe ganz klar ein breites Angebot geschaffen. Tochter ist eine Leserin geworden, Sohn nicht.
Dass Mädchen eher zu Bücher greifen und lieber lesen als Jungs bestätigt auch meine Tochter, die dies als Lehrerin täglich erlebt. Ob das nun eine Sache der Erziehung ist oder genetisch bedingt, bleibt offen. ich tendiere zu letzterem genau aus dem oben beschriebenen Grund.
Lesen ist übrigens nicht das einzige, das doch sehr geschlechtsspezifisch betrieben wird. Man denke an die vielen Fussballclubs. Welches Geschlecht ist das breiter vertreten? Auch da kann man sich streiten, ob dies genetisch oder erzieherisch bedingt ist.
Im übrigen weiss ich nicht, weshalb alle immer unbedingt Jungs und Männer zum lesen bringen wollen? Jede und jeder wie er mag…oder nicht? Auch das mit der Lesekompetenz finde ich nun nicht so drängend. Sohn hat eine top Ausbildung, studiert und nun eine gute, verantwortungsvolle und kreative Stelle, auch wenn er im Kindesalter nur unter Zwang gelesen hat und in den letzten 10 Jahren ausser Fachlektüre kein Buch in der Hand hatte. Nachbarsmädchen, die die Nase ständig in einem Buch hatte, hat x Lehren angefangen, abgebrochen und lebt heute im Hotel Mama, anders würde sie wohl mit ihrem kargen Lohn nicht über die Runden kommen.
Bei Kinderbüchern sehe ich das Problem auch weniger, eher bei den Teens, wo mit Romance etc. viel für weibliche Leserinnen angeboten wird. Das spricht natürlich auch nicht alle an, meins war dieses Genre noch nie, aber eben viele. Männliche Coming-of-Age-Literatur gibt es da tatsächlich weniger, ist aber schon durchaus vorhanden, etwa Benedict Wells.
Auch bei mir ist es so, dass mein Sohn nur schwer zum Lesen zu motivieren ist, er bevorzugt es, berieselt zu werden mit Hörbüchern oder Vorlesen. Und das, obwohl ich sehr viel lese, und ihm von Beginn an von meinem Mann und mir vorgelesen wurde, zT exzessiv (Lukas der Lokomotivführer haben wir während Corona binnen 1,5 Tagen mit einer Vorlesemarathonsitzung durchgesuchtet).
Auch ein breit(er)es Angebot an Büchern wird die männlichen Teens nicht zum lesen bringen, weil oft das Interesse für Bücher gar nicht da ist. Finde ich persönlich aber auch nicht schlimm. Männliche Teenager treiben dafür oft mehr Sport ( dies auch aus eigener Erfahrung und Beobachtung) als weibliche Teenager.
Ich glaube auch, dass der genetische Faktor eine gewisse Rolle spielt.
Dennoch hat der Artikel, der oben verlinkt wurde nicht unrecht, wenn er darauf verweist, warum es positiv für die Entwicklung und Selbstreflexion wäre, wenn Männer zu Büchern greifen würden, auch und gerade in einer Zeit, in der klassische Rollenbilder eben keinen Halt mehr geben (ganz am Ende des Artikels).
Die Buchbranche hat ja gewissermaßen einen blinden Fleck, weil sie von Käufergruppen ausgeht. Viel Lesen bedeutet ja nicht automatisch viel Kaufen. Wenn eine Bevölkerungsgruppe mehr lesen würde, würde das nicht unbedingt als Umsatz im Handel deutlich. Bibliotheken, Onleihe, Tauschbörsen, privat tauschen, Flohmarkt usw. usf.
Das betrifft aber alle Käufergruppen, unabhängig vom Geschlecht. Ich sehe nicht, warum Männer mehr tauschen/gebraucht kaufen/leihen würden als Frauen. Sollte es gelingen - wie auch immer - Männer massenhaft zum Lesen zu animieren, würde auch mehr Umsatz generiert. Zumal die Verlage über die Bibliothekstantiemen auch zB von Bibliotheksnachfrage profitieren (zumindest im Printbereich, bei ebooks gibt es das meines Wissens noch nicht, ist aber überfällig, um Verlage und Autor:innen angemessen zu beteiligen/entschädigen).
Das scheint der Branche aber nicht bewusst zu sein. Ich habe mehrfach Äußerungen von Buchhandelssprechern gelesen, die Bibliotheken als Konkurrenz = finanziellen Schaden für die Verlagsbranche benennen. Ich halte das für einen Irrtum, weil Haushalte ihre Ausgaben für Kultur und Bildung nicht unbegrenzt steigern können. D. h. wer mehr liest, muss an einem Ende sparen. Bibliotheken sind aber auch Orte, an denen sich Multiplikatoren treffen (Eltern, Pädagogen, Vorlesepaten), und über Bücher sprechen - und das könnte sich langfristig positiv auf den Umsatz im Handel auswirken. Man braucht ja auch immer mal ein Geschenk …
Mehr Lesen kann ja auch sein, dass die Bücher gelesen werden, die sowieso da sind, weil Partner oder Partnerin lesen oder das schullpflichtige Kind.
Das ist interessant. Im Printbereich würde ich Bibliotheken auch nicht als „Bedrohung“ für den Umsatz wahrnehmen, eben weil ich es auch als Inspirationsquelle, Mulitplikator, Begenungsort sehe, wo man Neues entdeckt und es dann vielleicht sogar kauft. Und die Tantiemen geben eine gewisse Entschädigung, zudem haben die Bücher nach einer gewissen Anzahl von Leihzyklen ausgedient und werden aussortiert und ggf. nachgekauft. Bei ebooks kann ich den Ärger der Verlage verstehen. Sie können sehr leicht „geklaut“ werden, indem der Kopierschutz geknackt wird, die Verlage bekommen keine Tantiemen und somit keine Entschädigung. Deswegen greifen sie ja zT zu Praktiken wie dem Windowing, mit dem Neuerscheinungen erst nach einem bestimmten Zeitfenster (zB 1 Jahr) als ebook in der Onleihe angeboten werden dürfen, oder ebooks haben nur eine begrenzte Anzahl an Leihzyklen, bevor sie analog zu Prints „verschleißen“.
Klar, diese Synergieeffekte wird es immer geben. Nachdem ich mit meinem Mann zusammengezogen bin, haben wir uns auch erst mal gegenseitig über die Bücher des anderen hergemacht. So wurden auch seine alten Schullektüren zumindest einmal gelesen
Wenn jetzt aber neue „Männerbücher“ auf den Markt kämen, müssten die ja erst mal gekauft werden, um hier neue Tausch-/Leihkreisläufe zu etablieren.
Da ich komplett ohne Zwänge aufwachsen durfte, bin ich sowieso wohl „nicht stimmberechtigt“. Ich war in einer Zeit Teenager, als es in Deutschland keine weiblichen Polizistinnen gab, nur Politessen, die Strafzettel verteilen durften. Ich wollte mich bewerben und bekam die Antwort, dass nur männliche Bewerber zugelassen sind. Auch war meine Jugend in einer Zeit, in der Frauen nur arbeiten durften, wenn sie die Erlaubnis ihres Mannes hatten. Vom Führerschein ganz abgesehen. Dennoch bin ich mit dem Wissen (jepp, Wissen) aufgewachsen, dass ich einmal eine Ausbildung machen werde, mein eigenes Geld verdienen werde und schlag 18 ein Auto haben werde (und natürlich den Führerschein). Ich hab dann auch als eines der ersten Mädchen den Moped-Führerschein gemacht.
Das alles erzähle ich, weil ich damit Igelas Worte unterschreiben möchte. Einiges ist genetisch, anderes anerzogen, vieles reiner Zufall.
Mein bester Kumpel hat mit 14/15 „Ayla und der Clan des Bären“ gelesen, fand es bombastisch und wollte, dass ich es auch lese. War so gar nicht meins. Er hatte berufstätige Eltern, die Oma „passte auf ihn und seinen Bruder auf“. Die Oma war damals schon uralt und hatte so gar kein Interesse daran, die Jungs ans Lesen zu bringen. Das kam von ihm allein. Ganz ohne Förderung also.
Ich las nicht ausschließlich typische Mädelsbücher, wie Hanni und Nanni oder Dolly, sondern auch Abenteuerbücher. Und irgendwann fand ich dann Gefallen an den Mystery-Heften, die es dann 14-tägig gab. Die Jungs in meinem Umfeld lasen wenig, aber einige eben doch. Und fast alle davon (eben meinem Jahrgang geschuldet) nicht wirklich „gefördert“. Man könnte schon sagen, dass die Bücher dann „männlichere Inhalte“ hatten. Und ja, es gibt auch Überschneidungen. Besonders fällt aber auf, dass später dann, im Erwachsenenalter, die Unterscheidung fast schon flachfällt. Ich sehe zwar tatsächlich nie männliche Leser mit Liebesromanen, aber bei allen anderen Genres sehe ich Männer und Frauen gleiche Titel lesen. Finde ich gut.
Dennoch hat mir auch meine Zeit in der Bücherei als ehrenamtliche Helferin gezeigt, dass Jungs andere Bücher ausgeliehen haben, als Mädchen. Jungs waren wild auf Comics. One Piece war da ein Highlight. Mädchen liebten tatsächlich (was meinem eigenen Geschmack nie entsprochen hatte) Pferdebücher. TKKG wurde fast nur von Jungs ausgeliehen, auch R.L. Stine. Vormittags kamen die Kids alleine (die Bücherei lag in der Schule), nachmittags auch mal mit Eltern. Mich hat positiv überrascht, dass ich nie erleben musste, dass ein Elternteil einem Kind ein Buch ausreden wollte. Einreden schon eher, aber subtiler, das wurde dann einfach nur zusätzlich mitgenommen.
Feedback gab es auch ab und an. Aber ich behaupte mal, dass niemand Verlage informiert hat, dass dies und jenes mehr angeboten werden müsste. Es mag Menschen geben, die entsprechend engagiert sind, aber das ist wohl nicht wirklich die Mehrheit.
Grundsätzlich stört mich in dem Artikel erst mal der Satz" vertrödeln ihre Abende mit Streamen". Das ist so wertend und auch abschätzig. Das sind junge Männer, die sehr oft den ganzen Tag im Beruf viel leisten. Warum sollen sie zur Entspannung nicht einen Film schauen? Warum wird zu einem Buch greifen als gut und Filme schauen als böse angesehen? Ah ja, genau, bei Filmen verdienen ja die Verlage nichts…ein Schelm, der Böses denkt.
Bei mir persönlich hat das gestimmt - ich war nicht so sportbegeistert (außer Basketball im Ami-Block), schon gar kein Vereins-Mensch. Aber gerade mein bester Kumpel (wir sind wie Geschwister aufgewachsen) war totaler Sport-Mensch (Tischtennis, DLRG, Basketball), hatte daneben noch Musikunterricht und las trotzdem.
Dafür waren aber in meinem Jahrgang tatsächlich massig Mädchen im Sport aktiv, von Leichtathletik über Volleyball bis zu Tennis.
Wenn mich meine Augen nicht trügen , steht da „vertrödeln ihr Abende mit StreameRn“, das sind Influencer, die Livestreams ins Netz schicken, es geht also nicht um Filme.
Warum müssen Männer massenhaft zum lesen gebracht werden? Und bitte nicht das Argument mit der Lesekompetenz und bessere Chancen ( siehe meinen ersten Beitrag)…
in „meiner“ Bücherei haben tatsächlich mehr männliche „Kunden“ ausgeliehen, als weibliche (im Erwachsenenbereich). Ich kann mir gut vorstellen, dass sie weniger dazu neigen, Bücher besitzen zu wollen, als weibliche. Und auch das Bummeln in Buchhandlungen scheint ihnen weniger zu liegen. Keine Ahnung.
Dazu kommt noch, dass in dieser kleinen Dorfbücherei drei alte Damen das Sagen über die Bestellungen hatten. Die drängten der Bücherei also ihren Geschmack auf. Womit nichts aussagekräftig war. Ich ahne, sie würden ohnmächtig werden ob der heutigen Bücher. Damals kamen gerade die Fifty-Shades-Bücher raus und die waren absolut verteufelt.
Genau. Jede und jeder wie er möchte. Deshalb kann ich so Artikel, die einen Teil der Bevölkerung zum Lesen drängen möchte, nicht ab.
Auch nicht lesende männliche Teenager machen ihren Weg und dies manchmal besser und erfolgreicher als lesende weibliche Teenager.