Ja, das Thema ist tatsächlich sehr schwierig, vor allem weil sowas zwangsläufig immer irgendwelche extremen Blüten treibt, die die Seiten und Perspektiven immer unklarer machen, und eine sinnvolle Diskussion sehr erschweren…
Das meine ich so auch. Denn: wird die Wikipedia-Erklärung oben wörtlich genommen, dürfte es 50 % aller Bücher und Filme gar nicht geben. Man kann auch kleinlich sein. Es geht dabei nicht um Kulturschätze, die gestohlen werden. Z.B. hätte Melville in „Moby Dick“ seinen Südseeinsulaner Queequeg mit seinen Maori-Tätowierungen nie auftauchen lassen dürfen oder es dürfte keinen Roman über die Indianer Nordamerikas geben. Man kann auch päpstlicher sein als der Papst.
Auch wenn ich natürlich nicht ausschließen würde, dass „Überkorrekte“ da Kritik üben könnten.
Ja, die gibts allerdings überall - komischerweise echauffieren sich immer die, die überhaupt nicht betroffen sind und komischerweise weniger die, die es betrifft. An die Winnetou-Geschichte von Ravensburger hab ich auch gedacht - ich gebe offen zu: den Shitstorm darüber finde ich völlig Banane. Durch Karl May kamen Millionen Kinder und Jugendliche überhaupt erst zum Lesen und in Berührung mit den Ureinwohnern Nordamerikas. „Yakari“ als Kinder-Zeichentrick ist in vielem auch nicht authentisch, dennoch fangen dadurch schon die Kleinsten an, sich für die Indigenen zu interessieren - und das finde ich absolut nicht verwerflich. Im Gegenteil.
Das habe ich auch schon sehr oft mitbekommen. Nicht direkt in Büchern, sondern in Humor. Man durfte sich früher über alle Menschen lustig machen. Heute ist man sofort homophob, dabei gibt es ein ganz berühmtes Interview von Elton John, in dem er durch den Kakao gezogen wird und er lacht sich dabei kaputt. Wäre heute wohl nicht mehr möglich. Absolut schade. Man kann inzwischen nur noch Witze über ausschließlich hetero Männer oder Frauen machen.
Meine Theorie wäre, dass es ein neues Genre „unrecherchierte Young Adult Romane“ gibt, egal in welchem Land sie spielen, in denen eine Gegend oder Landschaft behauptet wird, die sich überall befinden könnte. Mit amerikanisch oder schottisch klingenden Bezeichnungen wird eine Stimmung angedeutet, die inhaltlich nicht bedient wird. Wald, Sumpf oder Wüste muss riechen, klingen, auf die Figuren wirken - und daran mangelt es, wenn es am Ende nur um den Bad Boy geht. Ob man Landschaften recherchieren muss oder einfach behaupten kann, war und ist ja allen Ernstes Thema in Selfpublisher-Foren.
Gute Argumente! Kann ich mir alles genau so vorstellen, wie Du sagst - dass es zieht, sieht man ja an dem immer mehr wachsenden Genre.
Auch eine sehr spannende Theorie, glaube da ist was dran! Recherche-Aufwand = Null und mit englischsprachigen Namen zieht es irgendwie immer. Bei diesen „Groschenromanen“ (soll nicht so abwertend klingen, aber mehr sind diese Bücher die am laufenden Band rausgehauen werden irgendwie auch nicht) kommt es ja sowie nur auf die Story an, den Bad Boy und das schüchterne Mädchen zB, der Rest ist egal. Nur tatsächlich würde sich ja dann zB Afrika tatsächlich anbieten - da ist ja sowieso auch sehr viel englischsprachig. Aber ich denke da greift dann das Argument „zu exotisch“ leider.
Bei den Ländern ist das mit dem neu definitierten Genre „unrecherchierte Young / New Adult Roman“ ja vielleicht noch unproblematisch, sehr viel schwieriger finde ich es da mit den nicht recherchierten psychischen Erkrankungen etc.
Puh, da fällt es mir etwas schwer drauf zu erwidern, finde das sehr krass formuliert, gerade das „Ghana nie etwas Großes erreicht hat“. Aber einen Punkt will ich aufgreifen: wieso spielen die Bücher aus dem benannten Genre dann nicht mehr in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland, Österreich, Polen oder der Slowakei? Da greift das Argument des „zu fremden“ ja nicht, diesen Ländern müsste man sich deiner Theorie nach ja mehr verbunden fühlen? Die meisten ja sogar noch mehr als den USA/Kanada, die viele nur aus Filmen und Büchern kennen!
Wird halt doch irgendwie mit „cool“ zusammenhängen und was für Länder bei den Jugendlichen angesagt sind. Und das ist nunmal die USA (warum auch immer). Schau doch mal ins Fernsehen - mehr als die Hälfte der Serien, die Jugendliche so gucken, spielen überm Großen Teich.
Ja ich denke auch, dass der „Coolness-Faktor“ vermutlich das entscheidende ist. Schade. Da würde ich gerne allen mal ein paar Bücher über die echte amerikanische Gesellschaft in die Hand drücken!
Amtssprache ist Englisch (ehem. Kolonialstaat)
In der Literaturwissenschaft findet man den Begriff der „Verfremdung“. Das heißt, die Handlung wird nach irgendwo weit weg verlegt, um sich nicht offfen dazu bekennen zu müssen, dass es im Grunde um Themen vor der nahen Haustür geht. Warum macht man das? Weil es sehr gefährlich sein kann, die Wahrheit direkt auszusprechen. Weil man sich nicht zur Wahrheit bekennen will. Was könnte das mit dem hier diskutierten Phänomen zu tun haben? Vielleicht ist es ein Wegträumen aus den Bedingungen und Umständen unserer Gesellschaft hinein in eine idealisierte Traum- oder Scheinwelt. Man muss sich dann nicht mit dem auseinandersetzen, was tatsächlich vorhanden ist. Man kennt das auch aus der Trivialliteratur des frühen 20. Jahrhunderts. Auch Aschenputtelromane oder Arztromane sind Beispiele dafür. Rosamunde Pilcher lässt grüßen.
Ernsthaft, irgendwelche YA Stories, die einfach in den USA spielen, obwohl sie auch sonst wo spielen können, finde ich einfach „bescheuert“, um es mal so auszudrücken. Wenn es es ein/e amerikanische/r Autor/in geschrieben hat, dann okay, schließlich ist das ja ihr Land und sie nehmen die Probleme dort auch selbst war. Wenn der/die Autor/in aber deutsch ist oder aus einem anderen europäischen Land stammt, dann finde ich es einfach übertrieben.
Bei Jugendlichen gilt Amerika einfach als cool und das ultimative Ziel, das wir auch erreichen müssten. Deutsche Autor/innen wissen auch gar nicht, wie das Leben dort abläuft oder nur ein bisschen aus einem Urlaub und so. Dort werden die USA dann so abgebildet, wie Europäer/innen denken, wie die USA seien.
Ich würde tatsächlich richtig gerne das Buch über die magische Schule in Ghana lesen, wenn es existieren würde! Ich habe es satt, nur Bücher zu lesen, die in Deutschland und den USA spielen, da sind neue Orte echt eine Abwechslung und interessant. Aber dafür müsste man als Autor/in wahrscheinlich zu viel recherchieren, weil niemand wirklich weiß, wie es in Ghana aussieht und das Leben dort abläuft.
Mir fällt beim Empfehlen von Krimis auf, dass selbst routinierte Krimileser sich verabschieden, sowie ein Roman z. B. in Island oder Japan spielt.
Diese exotischen Schauplätze werden nach meiner Einschätzung weniger beworben, erhalten vom Verlag seltener anziehende Cover und Bonusmaterial wie Kartenauschnitte oder Fremdwortregister. Wenn sie die bekämen, wären sie evtl. erfolgreicher.
Leser*innen wollen Vertrautes wiederfinden und nicht mit zu vielen Themen beladen werden. New York Times Bestseller sind durchweg nach dem Muster gestrickt: nur 2 Hauptthemen. Wenn ein Roman 2 große Themen hat (Love&Landscape, Love&Existenzgründung) wäre eine fremde Kultur als drittes Thema bereits zu viel, um das Buch zum Bestseller zu machen.
Aber wenn es um das Thema der „Verfremdung“ geht, wäre dann ein anderes Land als die USA oder UK viel naheliegender?
Ja das finde ich auch super auffällig, das hat ja mit den „echten“ USA nichts zu tun. Genau das meinte ich mit „Verherrlichung“, auch wenn der Begriff sicherlich überspitzt ist. Nur da macht sich eben niemand den Rechercheaufwand, sondern schreibt einfach wie er sich das so vorstellt - könnte man ja prinzipiell im Beispiel Ghana auch machen. Natürlich würde man sich wünschen, dass Ghana dann auch tatsächlich als Setting eine prägnante Rolle spielt, tut der Ort des Geschehens bei NA/YA-Romanen aber ja eigentlich nie, ist ja komplett austauschbar. Vermutlich könnte man oft einfach das Land ersetzen und keiner würde es merken!
Hm wobei ich sagen muss bei Krimis habe ich eher die gegenteilige Erfahrung gemacht! Die Bücher von Oyinkan Braithwaite (Nigeria), Bernard Minier (Frankreich), Gianrico Carofiglio (Italien), Yrsa Sigurdardottir (Island), Agustín Martínez (Spanien), Zhou Haohui (China) - alles sehr erfolgreiche Bücher!
Das mit den zwei Hauptthemen kann natürlich gut sein, wobei das ja eigentlich irrelevant sein sollte, wenn das Setting sowieso „nur“ Setting ist und keines der großen Themen des Romans? Ist es bei den o. g. Genres ja selten!
Naja ich persönlich denke auch, dass der Verlag bzw. die Autor*innen da sicher bereits in der ganzen Entstehung auf die potenziellen Verkaufszahlen schielen und machen wir hier doch einfach ein Experiment.
Der neue potenzielle Kassenschlager mit dem Titel:
- New York Fairytales
- Accra Fairytales
- Dortmund Fairytales
- Pusemuckel Fairytales
Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen (AUTSCH), welcher Titel gewählt wird und wo die fiktive Geschichte spielen wird, rein nur nach den potenziellen Verkaufszahlen. Mit den verschiedenen Städten lädt man dann den Titel gleich mit gewissen Erwartungen, Emotionen etc. auf und triggert somit dann bereits einige potenzielle Kund*innen zum Kauf.
Na klar, dass Verlage das bieten, was die Leser nachfragen ist ja klar. Aber wenn du dir das Szenario so vorstellst, dass das Buch heißt „Fairytale Lovestory“ oder „Because it’s true“ oder „Through my heart“, dazu ein kitschiges pastellfarbiges Cover, der Ort spielt keine Rolle und findet auf dem Klappentext nicht einmal Erwähnung (so bei den beiden letztgenannten zumindest in der Zusammenfassung hier bei VL), macht es dann wirklich so einen großen Unterschied?
Und dass Dortmund oder Pusemuckel vielleicht nicht so ziehen hat ja adelheit_von_buch mit der Verfremdung schon schön erklärt!
Eigentlich sollten die Buchtitel auch ohne irgendwelche Ortsangaben funktionieren. Mit den großen Metropolen lade ich dann den Titel halt nochmals zusätzlich positiv auf, indem ich bei den potenziellen Lesern dann bestimmte hoffentlich positive Assoziationen wecke, so zumindest meine Intension. Gerade die großen Sehnsüchte sind es doch, die auch mit den Büchern dann gestillt werden möchten.
Vielleicht bin ich aber auch auf den komplett falschen Weg abgebogen mit meiner Meinung dazu.
Das Thema beschäftigt mich auch. Warum muss alles jetzt englischsprachig betitelt werden? Sprechen deutsche Titel keine Leser/innen mehr an? Gerade die oft herrschende Verherrlichung der USA muss nun wirklich nicht sein, dafür liegt dort zu viel im Argen. Gefühle und Probleme sind weltweit gleich, also kann man sie auch in seiner eigenen Sprache betiteln.
Pusemuckel Fairytales würde ich gerne lesen wollen Klingt lustig!
Ich finde, bei den Romanen merkt man meist, dass die deutsche Autorin eben doch keine englische Muttersprachlerin ist, auch wenn der Handlungsort das anglophone Ausland ist. Vielleicht sind es auch Auftragsarbeiten - nach dem Motto : „der Verlag hätte gerne xy.“. Ich find’s prätentiös und ein bisschen lächerlich, aber der Bedarf der Leserinnen ist wohl da. Eigentlich bin ich gegen cancel culture, aber in der Literaturwissenschaft hat der Vorwurf von cultural appropriation schon eine gewisse Berechtigung, weil mit Dingen Geld verdient wird, die die Autorin eben nicht aus eigener Erfahrung kennt - sei es der weibliche Hispano - Underdog, der von der amerikanischen Upperclass - Autorin beschrieben wird, oder die Südstaaten - Afroamerikanerin, deren Leben von der deutschen Autorin ohne jegliche Berührungspunkte beschrieben wird.