Abschnitt 2: Leserunde zu "Milchmann"

Naja… ich lese gerade in der Schwedisch-Runde ebenfalls ein preisgekröntes Buch, gemeinsam mit meinem Mann (der eigentlich gar nicht liest und das nur wegen des Kurses macht). Da geht es um Schimmel, abgefrorene Zehen, Alkohol und blaugeäderte Brüste. Aber künstlerisch waaahnsinnig wertvoll. Ich kann absolut verstehen, dass er beim Lesen vor Qualen stöhnt (übrigens mein einziges Amüsement bei der Lektüre)

Herrlich, wie du das ausdrückst anhand des Kaisers neue Kleider. Trifft es (für mich) perfekt.

Das geht mir genauso! :slight_smile:

Ich habe nun auch endlich mit dem Roman begonnen und soeben Kapitel 2 beendet. Ich kann mich einigen Stimmen hier anschließen und finde die Geschichte etwas anstrengend, was wohl zum Einen an den langen Sätzen liegt. Zum anderen schreitet die Handlung eher schleppend voran und wird von ausschweifenden Erklärungen der Protagonistin unterbrochen.
Die nicht vorhandenen Namen der Personen irritierten mich zu Beginn noch, im Laufe des 2. Kapitels konnte ich mich jedoch relativ gut daran gewöhnen und halte es mittlerweile sogar für eine interessante Idee der Autorin. Für mich verdeutlicht das auch die Anonymität bzw. das mangelnde Vertrauen zwischen den Figuren.

Ich bin trotzdem gespannt, wie es weiter geht und hoffe, dass die Handlung im 3. Kapitel etwas mehr in Schwung kommt und man als Leserin neue Informationen erhält. :slight_smile:

Die “Milchmannsituation” kam mir est nur etwas seltsam vor, nicht bedrohlich - aber so langsam ändert sich das. Überhaupt ist das ganze Klima bedrohlich, jedes Wort (oder jedes Schweigen) könnte das Falsche sein.
Ich habe mich mittlerweile an den Schreibstil und die fehlenden Namen gewöhnt. Die langen Sätze und das “Abschweifen” von Hölzchen zu Stöckchen zu Baum gefallen mir sogar. (Schwarzen) Humor finde ich vor allem in der Ausdrucksweise, die meiner Meinung nach auch genau zu einer Sechzehnjährigen passt.

1 „Gefällt mir“

Im zweiten Leseabschnitt quälte ich mich anfangs regelrecht von Seite zu Seite und überflog manchmal die ausschweifenden, langen Sätze. Die Lesemotivation sinkt bei mir auch aufgrund der langen Kapitel, die elends lang sind. :grimacing:

Abgesehen davon kommt man am Ende des Leseabschnitts der Sache schon näher. Man erkennt allmählich die politische Lage, die sich auch in der Nachbarschaft manifestiert hat und im Freundeskreis überhand nimmt. Etwas Ärger kommt dabei auf, wenn die Leute einfach Sachen interpretieren und gnaz anders wiedergeben, diese Stimmung und Emotion kommt schön langsam richtig stark durch…

Ich bin ganz irritiert, dass viele das Buch bzw. die Erzählerin als “humorvoll” beschreiben. Wenn überhaupt finde ich einige Stellen sarkastisch und sehr, sehr bitter und ernst.

So unterschiedlich kann man das empfinden… :upside_down_face:

Ich finde die langen Kapitel sehr gut gemacht. Dadurch ist das Lesen so atemlos. Durch die Sprache, die langen Kapitel, die verschachtelte Erzählung kommt fast so etwas wie Panik beim Lesen auf. Zumindest aber Unruhe.

Es gibt wenige Bücher, die so kunstvoll geschrieben sind, dass die Sprache so einen direkten, fast körperlichen Effekt beim Leser auslöst.

Dazu gehören auch die nicht genannten Namen. Darüber stolpere ich (bisher?) auch nicht. Zum einen, weil ich finde, dass nicht allzu viele Figuren auftauchen. Und wenn man tatsächlich mal nicht hundertprozentig weiß, er gemeint sein könnte, dann muss man das auch nicht wissen. Und zum anderen ist die Rolle der jeweiligen Figur doch immer klar benannt: Schwester, Vielleicht-Freund, Milchmann, Chefkoch… Besonders genial fand ich diesbezüglich, dass die beiden Listenschreiber der Verbotenen Namen Jason und Nigel genannt werden. :wink:

„Die beiden hatten irgendeinen gewöhnlichen Männernamen und irgendeinen gewöhnlichen Frauennamen, wurden von der Gemeinschaft aber nur »Nigel und Jason« genannt, worüber das gutmütige Pärchen selbst lachen musste.“ (6%)

Ja. Man hat keine Kapazität für Namen, ist mit sich selbst beschäftigt. Damit, sich nach innen zu kehren und zu verstecken. Überall Verbote. Unausgesprochene, aber auch sehr reale Bedrohungen. Es gibt so viele Interessen und Konflikte. Selbst wenn man es wollte, man könnte es nicht richtig machen. Namen sind viel zu individuell, zu kategorisierend. Und wenn jemand wie Chefkoch einen recht konkreten Spitznamen bekommt, dann weil er schon viel zu viel Individualität gezeigt hat und aufgefallen ist.

Ich hatte eingangs schon mal erwähnt, dass mich die Atmosphäre der Geschichte an „1984“ von Orwell erinnert und das geht mir auch weiterhin so. Beide Bücher versetzen mich als Leser mit in diesen Zustand der ständigen Alarmbereitschaft. Den Figuren ist jedes Recht auf Persönlichkeit und Freiheit genommen. Das ist unfassbar beklemmend.


Natürlich ist vieles völlig überspitzt. Wenn plötzlich hundert Leute beim Vielleicht-Freund aufschlagen wegen eines Autoteils. Oder wenn die Eltern plötzlich ihre Kinder zurücklassen, weil sie feststellen, dass sie sie besser nie hätten bekommen sollen. Und sie sich dann noch nicht einmal mehr an ihre langjährige Adresse erinnern können. :wink: Oder wenn es für eine Frau das Wichtigste ist, möglichst früh zu heiraten und viel Nachwuchs für die „richtige“ Truppe zu produzieren.

Das sind doch alles bewusst übertriebene (!) Beschreibungen realer Phänomene in Unruhe- und Kriegszeiten. Es ist ein gut gewähltes und elegant umgesetztes Stilmittel (Hyperbel).

Sehr beeindruckend finde ich, dass in der Geschichte übertrieben und anonymisiert und gleichzeitig die Protagonistin sehr eindeutig charakterisiert wird. Sie ist trotzig und provozierend. Dieses Im-Gehen-Lesen macht mich total verrückt.:wink: In dieser Welt, in ihrer Situation so demonstrativ leichtsinnig und uninteressiert aufzutreten…

Ich habe das Buch gerade angefangen, weil es ja recht spät erst zu mir kam, in die Schweiz hat es offensichtlich auch noch ein wenig länger gedauert.:grinning: Das es keine Namen gibt, sondern dann die Rede von Schwager 1, Schwager 2 usw. die Rede ist, irritiert mich doch sehr. Ich habe dadurch auch mehr Probleme Zugang zu den Personen zu finden, glaube ich jedenfalls. Da auch kein Ortsname fällt, frage ich mich wo soll es denn spielen? Auf der anderen Seite ist es mal etwas neues und dewegen finde ich es eben anders, aber nicht schlimm…

Auch ich habe mich hier noch etwas schwer getan mit dem Lesen. Es gibt immer noch keine Namen, ist immer noch die Rede von z.b. Schwager drei, kleine Schwestern usw.
Warum macht sich die Mutter Sorgen, weil mittlere Schwester mit 16 bzw. 18 noch nicht verheiratet ist? Und ob sie mit der Methode mit Schwager drei joggen zu gehen den Milchmann angehängt hat mag ich ja bezweifeln. Zum Ende des Kapitals würde es flüssiger und es kam etwas Licht ins Dunkel.

Naja, es ist schon sehr schwarzer Humor neu Sarkasmus… zB S. 63 (ebook…): „ „Ich will ja nicht urteilen«, sagte eine andere, »aber die wilde Ehe muss verurteilt werden, strengstens verurteilt, wir dürfen das nicht hinnehmen, …“ wie sich die Frau selbst widerspricht, fand ich amüsant. Oder S. 92: „Inzwischen trauerte sie jedoch nicht mehr nur, weil er sie betrogen und für eine neue Frau verlassen hatte, sondern weil er außerdem tot war.“ oder später die Wortschöpfung „Milchmannsituation“ auf dieser Seite.
Aber ja, stimmt; ganz normal ist der Humor nicht und vor allem nicht vordergründig.

Ich weiß, was ihr meint… glaube ich. :wink: Aber ich kann darüber nicht lachen. Bitterer Sarkasmus.

Da bin ich mal gespannt auf dein Fazit zum Buch, wenn du dem nichts abgewinnen kannst :blush: