Ihr Lieben,
in der nächsten Woche startet die Verlosungsrunde zu »Das verschlossene Zimmer« von Rachel Givney.
Habt ihr Lust die Autorin, ihren Schreibprozess und das Buch bereits etwas kennzulernen? Dann lest doch in unser Interview mit Rachel Givney rein.
Die Leseprobe zum Buch findet ihr ab dem 31.01.2022 auf der Buchdetailseite.
Die Handlung Ihres Romans ist komplex, am Ende steht eine völlig überraschende Wendung – können Sie versuchen in zwei Sätze zu fassen, worum es geht?
»DAS VERSCHLOSSENE ZIMMER« spielt in Krakau im Jahr 1939. Während Hitler die Invasion auf Polen vorbereitet, versucht eine neugierige und intelligente junge Frau ihre vermisste Mutter zu finden, die vor fünfzehn Jahren verschwunden ist.
Bei der Suche nach ihrer Mutter sind Maries einzige Anhaltspunkte eine verschwommene Erinnerung an ein altes Märchen und eine Haarsträhne. Nicht einmal den Namen ihrer Mutter gibt der Vater ihr preis. Marie versucht fortan mit allen Mitteln, dem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen. Inwieweit sind Herkunft, Heimat und Familie für Sie zentrale Themen des Romans?
Vor allem für Maries Vater Dominik, der sich weigert mit seiner Tochter über die Vergangenheit zu sprechen. Er lebt sehr zurückgezogen, hat keine Freunde und spricht nie über seine Herkunft, weil er befürchtet, dass jemand hinter sein Geheimnis kommen könnte. Aber indem er sich weigert, über sich selbst, seine Gefühle und seine Vergangenheit zu sprechen, führt Maries Vater ein trauriges, einsames Leben. Das macht ihn auch zu einem faszinierenden und ambivalenten Charakter.
»DAS VERSCHLOSSENE ZIMMER« ist zugleich auch eine Coming of Age-Geschichte: Marie ist siebzehn Jahre alt, sie steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Für ihre Jugendliebe Ben konvertiert sie zum Judentum und riskiert damit sogar den Bruch mit ihrem Vater. Inwieweit ist es eine Identitätssuche, die Ma-rie antreibt?
Marie ist aufgewachsen, ohne zu wissen, was mit ihrer Mutter passiert ist, ohne das Wissen, woher sie kommt. Das würde wohl bei jedem ein erhebliches Trauma verursachen, und diese Suche nach Identität treibt Marie jetzt an, die Wahrheit heraus zu finden. Auf der Suche nach ihrer Mutter entdeckt Marie auf vielfältige Weise, wie es in der Welt zugeht. Sie begegnet Rassismus und Sexismus, sie verliebt sich und erfährt, was Menschen tun, um ihre Familien zu schützen.
Sie haben viel für Ihren Roman recherchiert, sind durch Polen gereist und haben sogar polnisch gelernt. Was war die ausschlaggebende Inspiration für Ihre ungewöhnliche Geschichte?
Als ich Krakau zum ersten Mal besuchte, verliebte ich mich in seine mittelalterlichen Gebäude und seine blutige, komplexe Geschichte. Ich beschloss, wenn ich jemals einen Roman schreiben würde, der im Zwei-ten Weltkrieg spielt, würde ich ihn in dieser Stadt spielen lassen. Seitdem bin ich mehrmals zur Recherche nach Polen zurückgekehrt und habe die letzten zwei Jahre damit verbracht, Polnisch zu lernen – eine wun-derbare, aber schwierige Sprache – um ganz in die Geschichte und Kultur eintauchen zu können. Die Polen sind sehr gastfreundlich, besonders Fremden gegenüber. Das hat mir die polnische Community in Melbour-ne gezeigt, wo ich lebe.
Für weitere Recherchen besuchte ich das Jüdische Holocaust-Zentrum in Melbourne, hörte mir die Ge-schichten von Überlebenden an und zog einen jüdischen Experten hinzu, um wahrheitsgetreue Darstellun-gen des Judentums in Polen im Jahr 1939 zu entwickeln. Ich besuchte auch die Alte Synagoge in Krakau, das Konzentrationslager Auschwitz, Warschau, und einige ehemalige preußische Städte, um mich an die im Roman dargestellten Orte versetzen zu können. In Krakau habe ich gelernt, wie man Pierogi (Knödel) und Hochlandkäse macht, und ich habe polnische Volkstraditionen in der schönen Bergstadt Zakopane studiert. Ich besuchte Lemberg in der heutigen Ukraine, die alten Marktplätze, Apotheken und das ehemalige jüdi-sche Viertel, all die Orte, die ich im Buch beschreibe. Diese Erfahrungen haben mich inspiriert!
Sie leben und arbeiten in Melbourne in Australien. Als Drehbuchautorin haben Sie an vielen, auch in Deutschland bekannten Serien (z.B. »MCLEOD’S TÖCHTER«) mitgeschrieben. Inwieweit sind diese Erfah-rungen in Ihren Roman eingeflossen?
Mein erster Roman »JANE IN LOVE« wird von AMAZON STUDIOS verfilmt. Ich neige dazu, mit Kopfkino zu schreiben – dabei stelle ich mir Figuren und Orte vor, als würde ich sie vor mir sehen. Außerdem sind meine Geschichten meistens in drei Akte gegliedert, mit einem Anfang, einer Komplikation und einer Auflösung, ganz wie im Film.
Als Romanautorin muss ich beschreiben, wie die Dinge aussehen, riechen, klingen und die inneren Gedan-ken der Charaktere. Beim Drehbuchschreiben werden diese Details durch die Produktion und das Soundde-sign, die Kostüme und die Darbietungen der Schauspieler vermittelt. Beim Roman ist da nur das geschrie-bene Wort – was eine einsame Erfahrung sein kann. Drehbuchschreiben hingegen erfordert die Zusammen-arbeit mit Regisseur:innen, Produzent;innen, Schauspieler:innen und oft auch mit anderen Autor:innen, um eine Geschichte zum Leben zu erwecken. Aus diesem Prozess kann man viel Freude und Bestätigung zie-hen. Aber das Schreiben von Romanen gibt mir eine andere Art von Erfüllung – indem ich Charaktere und Handlungsstränge erschaffe, die einzig mir gehören.
Der zentrale Schauplatz Ihres Romans ist Krakau. Polen steht 1939 an der Schwelle zum Krieg, die deut-sche Invasion ist als ständige Bedrohung spürbar, spaltet die Gesellschaft und fördert Rassismus und Anti-semitismus. Was hat die polnische Gesellschaft in dieser Zeit geprägt?
Das Interessanteste, was ich bei meinen Recherchen entdeckte, war, dass viele Polen nicht daran glaubten, dass die Deutschen tatsächlich einmarschieren würde. Hitler hatte Reden über den Lebensraum im Osten gehalten, aber der Erste Weltkrieg lag erst zwanzig Jahre zurück. Polen war damals eine junge Republik und zum ersten Mal in seiner Geschichte unabhängig. Die Menschen waren voller Hoffnungen auf die Zukunft und niemand wollte einen weiteren Krieg.
Juden bildeten 1939 in Polen eine bedeutende Minderheit. In einigen polnischen Städten machten Juden fast 90 Prozent der Bevölkerung aus. In Krakau waren es etwa 26 bis 28 Prozent, darunter orthodoxe Juden, andere assimiliert oder völlig säkular und nur dem Namen nach jüdisch. Der Rest der Bevölkerung bestand hauptsächlich aus Katholiken. Es herrschte nicht mehr Antisemitismus als in anderen Ländern – vielerorts waren Juden ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Einerseits gab es Rassismus und Vorurteile, aber andererseits auch viele Menschen die anderen Glaubensrichtungen offen gegenüberstanden. Im Ro-man habe ich versucht, diese Nuancen darzustellen.
Klassische Rollenmodelle stellt Ihr Roman in Frage, ihre weiblichen Protagonistinnen, allen voran Maries Mutter Helena, entziehen sich dem klassischen Frauenbild dieser Zeit, oder?
Ja. »DAS VERSCHLOSSENE ZIMMER« erforscht die Not von Frauen, die in einer patriarchalen Gesell-schaft Karriere machen wollen. Die Heldin Marie will nicht nur ihre Mutter finden, sondern wie ihr Vater auch Ärztin werden. Doch sie stößt, auf dem Weg ihrem Traum zu folgen, auf massiven Widerstand innerhalb der Gesellschaft. Auf der Suche nach ihrer Mutter entdeckt Marie, dass die Welt für Frauen, die eine Karriere anstreben, ein lebensfeindlicher Ort sein kann.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Ihrer Geschichte, zu den Schauplätzen Ihres Romans oder Ihren Figuren?
Ich komme aus einer Familie mit vielen starken Frauen. Meine Mutter ist Ärztin und hat fünf Kinder, und meine beiden Großmütter hatten Karriere und Familie zu einer Zeit, als solche Dinge noch verpönt waren. Meine familiären Wurzeln machten Osteuropa zum perfekten Schauplatz für diesen Roman. Mütterlicher-seits stammt meine Familie aus diesem Teil von Europa und ich habe bei meinen Recherchen einiges über sie erfahren. So heißt auch eine der Hauptfiguren des Buches Kolikov, nach meinen Vorfahren.