Diskussions-Leserunde zu *Der Welt nicht mehr verbunden* erwünscht?

Wenn das nicht zum Nachteil der Krankheit gereichen würde, würde ich auch darüber hinwegsehen können. Aber leider verunglimpft seine Art sie mehr und die Betroffenen werden weiter herabgewürdigt. Das ist ja das Problem an der Sache. :slightly_frowning_face: Ich hoffe, die Bücher kommen bald an. Mich interessiert ja die Meinungen der Leser dazu.

Hmm…verunglimpfen ist ein starkes Wort. Aber gut, das ist deine Meinung.

Ich wünschte, ich könnte das anders sehen …

@writereadpassion: Vielleicht solltest Du das Buch wirklich vorher selbst lesen, bevor Du Dich noch mehr in Deine Erregung und Ärger hineinsteigerst. Nicht falsch verstehen - Deine Meinung und Gefühle sind unbestritten, aber da Du, wenn ich das richtig mitbekommen habe, bisher nur die LP gelesen hast, finde ich ein paar Deiner Aussagen zum Buch etwas problematisch.
Ich habe erst gestern mit dem Buch angefangen, also weiß ich noch nicht, wohin die Reise geht, aber der Autor verunglimpft diese Krankheit nicht, er würdigt auch Betroffene nicht (weiter) hinab - ganz im Gegenteil. Und warum er die Wirksamkeit von Studien zum Thema Antidepressiva anzweifelt (nachdem er sie lange Jahre selbst genommen hat), beschreibt er im ersten Kapitel sehr ausführlich und mit Angabe von jeder Menge Quellen und Hinweisen. Er bittet auch darum, die Quellen und Hinweise, die er aufführt mit Skepsis zu betrachten, sie auf “Herz und Nieren” zu prüfen (S. 30), und er bemerkt, dass eine Depression mehr ist, als nur ein falsches “Hirnsignal” (meine Worte), sondern hier noch viel mehr mit reinspielt.
Die ganzen Ansätze im Buch (bis jetzt) finde ich höchst interessant und bereichernd - vielleicht ändert sich das im Laufe der Geschichte noch, aber bis jetzt kann ich das Buch empfehlen.
Bald mehr!

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Ich kann noch nicht ganz so viel zu dem Buch sagen, da ich noch nicht weit über die Leseprobe hinaus gekommen bin.
Diese hat mir persönlich gut gefallen, wobei ich an solche Themen immer eher unemotional herantrete. Ich bin selbst nicht von Depressionen betroffen und habe daher genügend Abstand, mir einfach mal die Meinungen, Erfahrungen und Ansichten des Autoren anzuschauen. Mehr ist es für mich nicht, da er kein Fachmann ist und selbst diese oft nicht einer Meinung sind.
Da ich viel mit medizinischen Studien zu tun habe, ist für mich fast gar nichts in Stein gemeiselt und ich nehme vieles erst einmal zur Kenntnis und bilde mir dann meine eigene Meinung oder nehme für mich mit, was ich sinnvoll finde. Daher ist das Buch für mich einfach interessant. Viele Entwicklungen gingen von einzelnen Menschen aus, die etwas kritisch hinterfragten.
Die etwas “amerikanische” Art, seine Erfahrungen als fast revolutionär darzustellen, stört mich nicht. Vor allem, da ich nicht beurteilen kann, inwieweit das vom Autoren kommt oder vom Verlag, der das Buch entsprechend bewerben möchte.
Was ich nachvollziehen kann, ist Deine Angst, dass Betroffene sich von diesem Buch echte Hilfe erwarten. Das wäre unter Umständen verheerend. Vielleicht wäre ein entsprechender Hinweis für Betroffene, dass das Buch keine Therapie ersetzen kann und der Rat, sich professionelle Hilfe zu suchen, hilfreich und notwendig.

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Nun ja, meine Ansicht bezieht sich ja wirklich nur auf die Leseprobe, daher fand ich die Idee auch gut, gemeinsam mit den Buchlesern den Austausch zu wagen. Was an meinen Aussagen so problematisch sein sollen, ist mir schleierhaft, da ich ja klar angegeben habe, dass es sich nur auf die Leseprobe und den Titel bezieht. Und so sehe ich diese nun mal. Weil ich ja eben nicht das Buch lese, möchte ich es auch nicht im Ganzen kritisieren, das habe ich auch deutlich gemacht. Daher freue ich mich über jede Rückmeldung zum Buch und dem Austausch von hier. :smiley: Mach dir keine Gedanken, dass ich etwas falsch verstehen könnte … solange hier mit Respekt geschrieben wird, sehe ich dafür keinerlei Anlass. Hier sind verschiedene Meinungen ja erbeten. :wink:

Das Problem ist nicht seine eigene Meinung dazu. Die kann ich ihm zugestehen. Was mir sauer aufstößt, dass er es so hinstellt (konnte ich ja schon in der Leseprobe lesen), als ob es allgemeingültig ist. Es ist einfach nur seine Erfahrung. Es gibt auch genauso viele Studien, die das Gegenteil von dem, was er meint, beweisen. Aber das erwähnt er gar nicht- jedenfalls nicht in der Leseprobe.

Deine Ansicht dazu finde ich auch interessant. Ich denke auch, dass du als Nichtdepressive die Sache anders beurteilst. Das ist ja normal und auch nicht verkehrt. Ich bin ja gespannt, was du so im weiteren Verlauf rausliest … Du hast ja nochmal eine ganz andere „Rolle“ dazu, da du -wie du schriebst- mit medizinischen Studien zu tun hast. Das könnte hier wirklich noch sehr interessant werden… :grin:

Ja, das ist natürlich eines der Dinge, die ich bemängele bzw. kritisiere. Da ich selber viel mit Psychologie zu tun habe und mich mit verschiedenen Krankheitsbildern beschäftige, kann ich damit auch anders umgehen. Aber ich weiß, dass viele das nicht so können, weil sie in ihrem Blickfeld eingeschränkt sind, und dann können solche Menschen schnell in eine krankhafte Hoffnungsspirale landen. Finde ich schon besorgniserregend. :thinking:

Genau das ist es eben nicht - seine eigene Meinung, meine ich. Ganz im Gegenteil. Er nimmt 14 Jahre lang Antidepressiva und fühlt sich blendend dabei. Bis er durch zwei auslösende Momente anfängt darüber nachzudenken, was ein Antidepressivum eigentlich ist und wie es wirkt. Dazu wühlt er sich durch Studien und spricht mit Ärzten bzw. Psychiater, und findet dabei heraus, dass 1.): solche Medikamente von der rein chemischen Wirkung her nur einen geringen Effekt auf die Krankheit Depression haben (also auf die rein „gehirnchemischen“ und körperlichen Reaktionen) und 2.): Studien, in denen solche Medikamente als sehr wirksam deklariert werden, durch Zensur extrem geschönt werden können. Dabei spricht der Autor aber niemals davon, dass solche Medikamente oder diese Art der Behandlung an sich schlecht ist. Seine Kernaussage bis jetzt (ca. 100 Seiten) ist: eine Depression ist kein reiner chemischer Gehirnprozess, der plötzlich auftritt, und durch entsprechende „Gegenmaßnahmen“ im Sinne von „chemischen“ Medikamenten wieder abgestellt werden kann. Sondern ein komplexer Vorgang, der eben auch durch die Lebensumstände beeinflusst und verstärkt wird. Deshalb ist es seiner Meinung nach essenziell, dass man nicht NUR ein paar Tabletten verschrieben bekommt, sondern bei einer Therapie, die sich auch über Jahre hinziehen kann, die Lebensumstände analysiert, um durch diese weitere Informationen zu bekommen. Warum man eine Depression hat und wie man sie bekämpfen kann.

Und: ich bin ja noch längst nicht durch, aber Betroffene können sich durch dieses Buch natürlich Hilfe erhoffen. Nirgends - jedenfalls bis jetzt noch nicht - steht hier, brich alle Behandlungen ab und folge diesen 5 Punkten! In diesem Buch beschreibt der Autor seine Suche nach einer Erklärung, warum und weshalb Depressionen entstehen und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt.

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Hallo zusammen, es freut mich, dass das Thema hier so reich diskutiert wird.
Vorab: Ich bin Betroffene und habe das Buch bereits ausgelesen.

Ich hatte mit 17 ein traumatisches Erlebnis (den Verlust meiner Eltern). Daraufhin bekam ich Therapie, aber noch keine Medikamente. Ich bin froh, dass einige deutsche Ärzte das Thema anders angehen, als Johann Hari es beschreibt. Für mich gab es vorerst keine Medikamente. Aber bei mir war es auch keine Depression, sondern eine Trauerreaktion. Mein Verlust war ein traumatisches Erlebnis mit allem, was auch Johann Hari beschreibt: Scham, Reue, Trauer, Schuld, resultierender Einsamkeit, Unsicherheit, Ängsten, einer Menge Wut… Mit der Therapie haben wir versucht, mich wieder halbwegs auf die Beine zu bekommen, allerdings ist das als junger Mensch, der seinen “Rückhalt”, sein Sicherheitsgefühl verloren hat, nicht leicht. Ich rutschte in eine ordentliche Depression, konnte nicht mehr aufstehen, nur noch weinen, nicht mehr rausgehen, keine Kontakte zu Familie oder Freunden mehr pflegen. Ich war wie gelähmt. Abgschnitten von der Welt - genau, was Johann Hari beschreibt. Irgendwann wollte ich nicht mehr leben und hier waren Antidepressiva mein Lebensretter. Medikamente sollten nicht verteufelt, aber mit Vorsicht genossen werden. Citalopram hat mir ein Jahr lang gut getan. Dazu kam noch ein anderes, das mir helfen sollte, zu schlafen - leider war es trotz geringer Dosis für mich zu stark und ich bin morgens nur schwer wachgeworden und konnte über den Tag kaum wachbleiben. Die Nebenwirkungen zählt auch Johann Hari auf: Stumpfe Gefühle, Gewichtszunahme, verringerte Libido etc. All das hat auch negative Effekte auf das Wohlbefinden, weshalb ich das Medikament noch einmal gewechselt habe, aber dieses bis jetzt durchweg immer noch einnehme. Jetzt rede ich mir ein, dass es mir hilft, meinen Alltag zu bewältigen, aber ich werde den Versuch wagen, es auch ohne zu schaffen.

Mein jetziger Zustand ist stabil. Ich habe eine neue, umfangreiche Therapie begonnen und trotz Mangel an Therapeuten eine kompetente und dabei liebenswerte Therapeutin gefunden, die mir an allen Ecken und Enden hilft. Ich bin jetzt 25, komme zurecht, bin sogar oft wieder halbwegs glücklich, kann ruhiger schlafen, kann tagsüber arbeiten und eine 40h-Arbeitswoche bestreiten, Freundschaften pflegen und meiner übrigen Familie alle Liebe entgegen bringen, die ich habe. Ich bin jetzt nicht mehr abgeschnitten, ich hab mich neu verbunden mit der Welt.

So. Wie habe ich das geschafft? Nicht mit den empfohlenen Heilmitteln von Johann Hari. Warum nicht? Weil sie viel zu allgemein sind.

Was eine Depression erfordert, ist Therapie. Es sind grundsätzliche Fragen und Probleme, die mit viel Feingefühl behandelt werden müssen. Schuldgefühle haben meine Therapeutin und ich mit viel Mühe und reichlich Tränen überwunden. Einsamkeit wurde mit kleinen Schritten auf mich selbst zu in den Griff bekommen, weil mir das die Möglichkeit gab, mich auch wieder anderen Menschen zu nähern. Scham wurde teilweise durch Selbstliebe ersetzt. Und die Trauer… Die bleibt da. Natürlich. Immer. Aber sie ist erträglicher. Sie ist jetzt von Dankbarkeit begleitet, statt von Verzweiflung.

Johann Hari nimmt die Betroffenen sehr ernst, von denen er erzählt, und mindert nicht ihre Gefühle. Aber er tut so, als könne das alles mit seinen einfachen Rezepten von Natur, Gemeinschaft und sinnvoller Arbeit gelöst werden. So leicht ist es aber nicht. Es sind interessante Ansätze, die manchen gut helfen mögen, aber keine generelle Lösung, die für jeden anwendbar ist.

Was ich am Buch sehr gut fand: Die einfache Erzählweise. Sie macht das Thema, wenn auch schwach, anderen Menschen zugänglich. Das Buch ist mit Sicherheit kein Ratgeber, kein Selbsthilfemittel und keine Wissenschaft. Aber man kann es mal gelesen haben, um sich ein paar Grundsätze ins Gedächtnis zu holen, die dem Menschen gerenell gut tun. Wir alle freuen uns über sinnvolle Arbeit, über wohltuende Gemeinschaft mit anderen, über Spaziergänge im Grünen. Das alles kann Schmerzen lindern, aber oftmals nicht das eigentliche Leid ausmerzen, was nun mal oft traumatische Erlebnisse sind.

Was das für mich bedeutet: Da ich wieder gut im Leben stehe, ist das, was mir an Depression geblieben ist, zwar immer noch lähmend und schmerzhaft, aber aushaltbar. Es kommt in Wellen wieder. Dafür sind Johann Haris Rezepte gut: Sich bewusst zu machen, dass ich rausgehen muss, damit ich wieder zu mir selbst finde. Daran zu denken, meine Schwester anzurufen, wenn ich einsam bin, oder gleich hinzufahren, um mit ihren Kindern zu spielen - das schafft wieder Gemeinschaft, das macht mich voll von Liebe, das macht mich frei von sinnlosen Werten und zeigt mir wieder das wirklich wichtige. Ja, mit diesen grundsätzlichen Empfehlungen hat er recht. Seine Methoden helfen. Aber nicht bei akuten, schweren Depressionen, bei denen man sich fühlt, als würde man unter der Wasseroberfläche schweben und Qualen leiden. Seine Methoden helfen, um kontinuierliche Besserung des Wohlbefindens zu ermöglichen. Für alle Menschen. Er kritisiert die Gesellschaft ganz ausgezeichnet.

Fazit: Was er den Leuten erzählt, ist längst nicht alles. Aber wenn man bedenkt, wie viele psychologische Fachbücher es gibt und dass ein ganzes Studium nötig ist, um den menschlichen Geist und seine Gefühlswelt wenigstens ansatzweise zu begreifen, kann man kaum erwarten, das in einem Buch erzählerisch aufgearbeitet lesen zu können. Es war gut, seine Sicht zu erfahren und einige Dinge werde ich in meinen Alltag mitnehmen. Aber dennoch: Es ist falsch, Depression auf diese wenigen Faktoren zu beschränken und es ist falsch, sie nur so oberflächlich behandeln zu wollen. Trotzdem hätte ich mir in den vergangenen Jahren gewünscht, mich hätte jemand an die Hand genommen, wäre mit mir rausgegangen, hätte mich auf gekonnte Weise mit anderen in Verbindung gebracht, hätte mich bei der Arbeitssuche unterstützt und mir finanzielle Ängste genommen. Vielleicht ist es eine gute Lektüre für Angehörige, um Betroffene zu unterstützen und teilweise die Bedürfnisse zu verstehen.

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unterschreib :writing_hand:

Welche Faktoren wären denn für Dich noch wichtig gewesen, die Hari hätte beschreiben können / sollen?
Ich habe das Buch gestern ausgelesen, und wenn ich das, was der Autor beschreibt, mit Deiner sehr beeindruckenden Geschichte vergleiche (und Hut ab vor dem Mut, das hier zu beschreiben!), finde ich bei Dir alles, was auch der Autor beschreibt und / oder anspricht.

Hm, ja, bei mir findet man alles, was Johann Hari im Buch schreibt, das stimmt.
In gewisser Weise empfinde ich seine Ideen zu Lösungsansätzen aber genauso wie das pure Verschreiben von Antidepressiva… Das allein genügt eben nicht. Es sind Lösungsansätze, die dem Menschen an sich gut tun und die jeder für sein eigenes Wohlbefinden verfolgen sollte.
Sowohl Antidepressiva als auch seine Lösungsansätze sind aber keine Therapie bzw. ersetzen diese nicht… Sie können begleitend eingesetzt werden und sind damit hilfreich.

Das ist ein bisschen schwer zu erklären. Ich würde sagen, in diesem Buch fehlen mir keine weiteren Faktoren, denn er benennt die grundlegenden Dinge, die jedem Menschen wichtig sind. Alles Weitere würde den Rahmen des Buches ja sprengen.

Bei einer Therapie werden Sachen geklärt, die die Ursprünge der Depression ausmachen. Das ist natürlich auch Abgeschnittensein, aber ich persönlich hatte immer das Gefühl, dass Abgeschnittensein nicht nur Ursache ist, sondern vielmehr auch Symptom…
Faktoren wie Schuld, Trauer, Scham etc. kann man nicht leicht verschwinden lassen und ich denke, deshalb lässt Johann Hari sie auch bewusst außen vor. Denn das ist von Fall und Fall unterschiedlich und kann nicht verallgemeinert werden. Kurzum: Depressive Gedankenstrukturen kann man durchbrechen, aber ich denke, dafür benötigt man therapeutische Begleitung.